Tante Ida, dritte Tochter des Nicola Lecaldano, verlobte sich mit Domenico Pace, einem bescheidenen und ehrgeizigen jungen Mann, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus dem kleinen Ort Guglionesi im Molise nach Neapel gekommen war, um dort Medizin zu studieren. Die beiden heirateten 1900 und hatten 5 Kinder, nämlich Vittorio, Marcello, Lucio, Manlio und Linda, unsere Mutter bzw. Großmutter. Leider hatte der Erstgeborene, Vittorio, eine unselige Leidenschaft: Ihn begeisterte die Fliegerei, die damals noch in den Kinderschuhen steckte, und er meldete sich freiwillig für die gerade im Aufbau befindliche Luftwaffe. Zweimal kam er mit seinem Flugzeug in ernste Schwierigkeiten; der zweite Unfall endete tödlich. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1957 beweinte Tante Ida jede Nacht aufs Neue den Verlust ihres geliebten ältesten Sohnes.
Ihr Gatte, Domenico Pace, Lieblingsschüler des berühmten Prof. Antonio Cardarelli, stellte sein Leben in den Dienst der Forschung und der Medizin. 1895 schloss er das Medizinstudium mit der Bestnote ab, war ab 1900 als freier Dozent für Medizinische Pathologie und ab 1905 für Klinische Medizin tätig, bis er 1910 zum Direktor des Instituts für Medizinische Semiologie berufen wurde. Seine Forschungstätigkeit galt zunehmend der damals noch jungen Disziplin der Kardiologie. Als erster Arzt in Italien erwarb Domenico Pace eines jener hochtechnischen Instrumente, die 1903 von dem niederländischen Arzt und späteren Nobelpreisträger Willem Einthoven entwickelt worden waren und die man als Elektokardiograph bezeichnete. Mit diesem Gerät betrieb Domenico Pace umfangreiche Forschungen und machte richtungsweisende Entdeckungen zur Anatomie des menschlichen Herzens.
In meiner Familie erzählt man sich eine kuriose Begebenheit: Der Zufall wollte es, dass irgendwann gegen Ende der 30er Jahre meine Schwiegermutter den großen Mediziner um Hilfe rufen musste: Sie war in höchster Sorge um ihren Mann, der von schweren Krankheitssymptomen geplagt war; es bestand gar der Verdacht auf eine akute Polmonitis! Mein berühmter Großvater, Professor Pace, riet jedoch lediglich, sämtliche Fenster und Türen offen zu halten, denn sonst würde der Kranke die Nacht wohl kaum überstehen, strich ein Honorar von 150 Lire für diesen simplen Rat ein und ging seines Weges. Am nächsten Tag wachte mein Schwiegervater tatsächlich vollkommen geheilt auf und lebte danach noch reichlich 60 Jahre weiter, so gesund wie ein Fisch im Wasser!
Tante Ida lies sich leider gar nicht gerne fotografieren – das Bild, das dieses Zimmer schmückt, ist das einzige Portrait, das wir von ihr haben